Intervista a Luca Albertoni, direttore Cc-Ti, apparsa su influence.ch
Al centro dell’intervista, apparsa il 23.06.2017 sul portale d’approfondimento germanofono, la solidità del tessuto economico ticinese e gli importanti sviluppi di alcuni settori oggigiorno trainanti per la nostra economia, come la moda e il commercio di materie prime.
Das Tessin gilt als Sonnenstube der Schweiz. Stört Sie diese Bezeichnung?
Luca Albertoni: Eigentlich nicht. Das Problem ist, dass das Tessin oft aus eigenem Verschulden in der deutschsprachigen Schweiz zu wenig bekannt ist.
Wie bitte?
Das Tessin ist nicht nur ein Tourismuskanton, in dem die Sonne gerne scheint. Vielmehr ist das Tessin auch ein wichtiger Wirtschafts- und Industriestandort. So wird ein guter Fünftel des Tessiner Bruttoinlandprodukts (BIP) durch den Industriesektor erwirtschaftet. Das weiss man nicht. Man bringt uns primär mit dem Tourismus in Verbindung, der im Gegensatz zur Industrie nur 10 Prozent zur Wirtschaftsleistung beiträgt. Diese verzerrte Wahrnehmung stört mich. Wir haben es noch nicht richtig fertiggebracht, diese andere Sichtweise stärker nach Zürich und Bern zu tragen. Dadurch kennt die Schweiz unsere Trümpfe nicht.
Welches sind diese Trümpfe?
Die wichtigste Branche im Tessin ist die Pharmaindustrie, die knapp 10 Prozent unseres BIP ausmacht. Auch die Maschinenindustrie ist mit Georg Fischer oder Schindler im Tessin vertreten. Daneben gibt es zahlreiche kleinere Zulieferer für Deutschschweizer Unternehmen. Da die meisten jedoch keine eigenen Fertigprodukte herstellen und keine bekannten Marken haben, sind diese Firmen weitgehend unbekannt. Das ist häufig das Schicksal der Kleinen. Das Tessin macht punkto Bevölkerung und Wirtschaft rund 5 Prozent der Schweiz aus. Wir sind eine kleine Realität. Wir sollten mehr konstruktive Öffentlichkeitsarbeit machen, damit man uns und unsere Realität besser versteht. Bei der Diskussion um die zweite Gotthardröhre beispielsweise wusste niemand, dass für unsere Logistikbranche der Flughafen Zürich viel wichtiger ist als jener im benachbarten Mailand. In dieser Hinsicht arbeiten wir jedoch besser als in der Vergangenheit.
Ein Tessiner Bundesrat ist meines Erachtens nicht ein Muss, es ist aber klar, dass ein Vertreter der italienischen Schweiz eine andere Sensibilität einbringen und das Gremium bereichern kann.
Mit dem Rücktritt von Didier Burkhalter bietet sich nun die Chance, dass das Tessin nach Flavio Cotti wieder einen Bundesrat stellt. Wie wichtig wäre das?
Ich bin der Meinung, dass die individuellen Fähigkeiten grundsätzlich wichtiger sind als die geographische Herkunft. Ein Tessiner Bundesrat ist meines Erachtens nicht ein Muss, es ist aber klar, dass ein Vertreter der italienischen Schweiz eine andere Sensibilität einbringen und das Gremium bereichern kann.
Welche konkreten Impulse erwarten Sie von einem Tessiner Bundesrat?
Wahrscheinlich würde ein Teil der Tessiner Bevölkerung Bundesbern als weniger entfernt empfinden. Ich würde aber die konkreten Impulse wenigstens kurzfristig nicht überschätzen, denn der Bundesrat arbeitet als Gremium zuerst für die gesamtschweizerischen Interessen.
Wie werten Sie die Chancen von FDP-Mann Ignazio Cassis?
Ignazio Cassis wäre ein fähiger Bundesrat und verdient unsere Unterstützung. Er hat sich in Bern eine starke Position erarbeitet, aber ob das reicht, kann ich als Aussenstehender nicht beurteilen.
Die Achse Chiasso-Basel ist zentral. Darüber hinaus geht es darum, die Zusammenarbeit mit den Basler Kollegen und das Tessin als Logistik-Pol zu verstärken.
Eine starke Position im Tessin hat die Logistikbranche, ebenso die Mode. Möchte man diese beiden Sektoren in den nächsten Jahren ausbauen?
Sie haben sich eigentlich fast von selbst entwickelt. Früher dominierte im Tessin die Textilproduktion, die heute nahezu verschwunden ist und durch die Logistik ersetzt wurde. Traditionshäuser wie Zegna galten als Vorbilder und Magnet für andere Modehäuser, namentlich aus Italien. Kein Wunder, spricht man von einer Fashion Valley. Allerdings sind mittlerweile fast alle italienischen Unternehmen zurück nach Italien gekehrt, weil der Druck aus Rom sehr gross war.
Ein herber Verlust.
Das ist natürlich bedauerlich. Doch an deren Stelle sind französische, britische, skandinavische und amerikanische Modehäuser gekommen. Es hat sich im Laufe der Jahre ein wichtiger Cluster gebildet.
Weil diese Firmen einen steuerlichen Sonderstatus geniessen?
Nein. Das mag in der Anfangszeit so gewesen sein, ist heute aber nicht mehr der Fall. Diese Firmen sind grundsätzlich ordentlich besteuert. Wesentlich wichtiger ist die liberale Gesetzgebung der Schweiz, was für ausländische Unternehmen sehr attraktiv ist. Leider wird die Tessiner Logistikbranche zu wenig wahrgenommen. Deshalb sind wir Mitglied des Logistik Cluster Basel geworden.
Weshalb?
Die Achse Chiasso-Basel ist zentral. Darüber hinaus geht es darum, die Zusammenarbeit mit den Basler Kollegen und das Tessin als Logistik-Pol zu verstärken.
Ein Sektor, der seit der Finanzkrise mächtig gelitten hat, sind die Banken und Vermögensverwalter. Hat sich das Tessin von diesem Schock erholt?
Neben dem Stellenabbau haben die Kantone und Gemeinden stark unter den weggebrochenen Steuererträgen gelitten. Es war ein grosser Schock für die Wirtschaft, den Abzug der Banken mitzuerleben. Doch dieser Verlust ist, wenigstens was die Steuererträge anbelangt, fast vollständig wettgemacht worden durch andere Unternehmen, insbesondere aus der Rohstoffbranche, die sich im Tessin niedergelassen haben. Lugano gehört mittlerweile im Stahlhandel zur Weltspitze. Nach Genf und Zug sind wir Nummer drei der Schweiz, nur knapp hinter Zug. Allerdings ist es ein Nachteil, dass der Finanzplatz Tessin im Zuge der Finanzkrise geschwächt wurde. Die Politik der Grossbanken besteht darin, ihre Finanzdienstleistungen, namentlich die komplexeren, in Genf oder Zürich zu zentralisieren. Die fehlenden finanztechnischen Kompetenzen sind eine grosse Herausforderung für die Rohstoffbranche und die übrige Wirtschaft.
Die Tessiner Wirtschaft ist heute robuster und stärker diversifiziert.
Wie gut geht es der Tessiner Wirtschaft?
Die Wirtschaftsfaktoren zeigen, dass wir im Schweizer Durchschnitt liegen. Die Tessiner Wirtschaft ist nicht mehr so schwach wie vor 20 oder 25 Jahren mit den damals hohen Arbeitslosenzahlen. Sie ist heute robuster und stärker diversifiziert. Das zeigt sich darin, dass sie die Finanzkrise und die beiden Währungsschock relativ gut überstanden hat. Im Empfinden der Leute sieht das aber etwas anders aus. Sie reagieren sensibler und haben ein Gefühl der Unsicherheit. Arbeitsplätze bei den Banken gingen verloren, ebenso bei der Post, Armee und SBB. Diese Unsicherheit ist nicht nur im Tessin zu beobachten, sondern in der ganzen Schweiz und auch weltweit. Denn der Wettbewerb, die Konkurrenz und der Druck sind grösser geworden.
Das Empfinden der Bevölkerung im Tessin stimmt nicht mit der wirtschaftlichen Realität überein.
Der Wettbewerb ist intensiver geworden. Die Arbeitskräfte aus der Lombardei sind eine Realität. Doch dem Tessin geht es wirtschaftlich gut. Die Zahlen sind eindeutig.
Fühlt sich das Tessin isoliert?
Die Schweiz und Europa sind für die Wirtschaft kein Fremdwort, sondern gelebte Realität. Doch empfinden die Tessiner Bern als weit entfernt und Italien als aggressiv. Und für sie entspricht Italien der EU. Diese Empfindung ist stark im Bewusstsein der Bevölkerung verankert. Da klaffen die Realität der Wirtschaft und jene der Gesellschaft auseinander. Wenn ein Tessiner Arbeitnehmer durch einen italienischen ersetzt wird, hat man mehrheitlich keine gute Meinung über die bilateralen Verträge, Brüssel und Bern. Deshalb ist es für mich als Vertreter der Handelskammer nicht immer ganz einfach, hier eine Scharnierfunktion wahrzunehmen und beide Sichtweisen unter einen Hut zu bringen.
Kann der neue Tunnel durch den Gotthard eine Deblockade bewirken?
Für uns Wirtschaftsvertreter ist der Tunnel genial. Wir sind viel schneller in Zug, Zürich oder Basel an Sitzungen. Die Deutschschweiz liegt nun praktisch vor der Haustüre. Man darf nicht vergessen, dass die Deutschschweiz und Nordeuropa für die Tessiner Wirtschaft überlebensnotwendig sind – mehr als Italien. Ob die Bevölkerung das auch so sieht, muss sich weisen. Es wäre schön, wenn das Tessin mehr wäre als ein Durchgangskorridor zwischen Zürich und Mailand und sich als eigenständiger Wirtschafts- und Tourismusstandort mit Top-Lebensqualität positionieren kann. Für mich ist eine Öffnung wie der Gotthardtunnel immer eine Chance.
Wie werben Sie für den Wirtschaftsstandort Tessin?
Unsere Trümpfe sind die gleichen wie in der übrigen Schweiz: eine liberale Gesetzgebung, keine allzu grosse Bürokratie, ein einfacher, guter, persönlicher Zugang zur öffentlichen Verwaltung und eine moderate steuerliche Belastung. Vielleicht helfen auch das Tessiner Klima und die zentrale Position zwischen Mailand und Zürich. Die Vernetzung mit der Neat und der zweiten Gotthardröhre werden das Tessin für die Schweizer Wirtschaft noch wichtiger machen.
Wo steht Ihr Kanton in zehn Jahren?
Wir haben eine gute Dynamik, haben die schwierigen 1990er-Jahre endgültig hinter uns gelassen. Dank der breiten Diversifizierung hat es viele Freiräume für Neues. Darauf müssen wir aufbauen, das Positive sehen und fördern – und endlich aufhören zu nörgeln. Das bringt uns definitiv nicht weiter.
Gespräch: Pascal Ihle