Intervista a Luca Albertoni del Tages – Anzeiger

Intervista a Luca Albertoni, direttore Cc-Ti, da parte del Tages – Anzeiger

Al centro dell’intervista, apparsa giovedì 27.06.2017 sul noto quotidiano germanofono, il possibile scenario di un prossimo/a Consigliere federale ticinese.

Wie wichtig wäre ein Bundesrat tatsächlich für das Tessin?

Das ist eine zwiespältige Frage. Natürlich wäre es wichtig für den Bundesrat, wenn jemand aus dem Tessin eine gewisse kulturelle Sensibilität für den Kanton in das Gremium tragen würde. Gleichzeitig haben wir immer gesagt, auch bei den letzten Kandidaturen aus dem Tessin, dass die Person und ihre individuelle Fähigkeiten wichtiger sind als die Herkunft. Es muss nicht um jeden Preis ein Tessiner im Bundesrat sein. Für unseren Kanton ist das nicht überlebenswichtig.

Ist ein Bundesrat aus dem Tessin vielleicht wichtiger für die Schweiz als Ganzes als nur für Ihren Kanton? Es geht hier ja auch um Symbole.

Das könnte durchaus sein. Vielleicht muss man es so anschauen, um auch den Druck aus der ganzen Diskussion zu nehmen. Viele glauben heute, es werde direkte Effekte für den Kanton geben, wenn ein Tessiner im Bundesrat sitzt. Das ist Wunschdenken.

Aber verständliches Wunschdenken.

Ein Bundesrat ist kein kantonaler Vertreter. Erst kürzlich hatte ich eine Diskussion mit einer Journalistin aus der Romandie. Sie hat erzählt, wie wichtig es sei, dass der Bundesrat das internationale Genf verteidige. Da spielt die Herkunft des Bundesrats doch keine Rolle! Das kann auch jemand aus dem Appenzell. Genau das gleiche gilt für das Tessin. Als Flavio Cotti noch im Amt war, hat er geschaut, dass mehr Tessinerinnen und Tessiner in der Bundesverwaltung angestellt werden. Das ist eine realistische Einflussmöglichkeit eines Bundesrats aus dem Tessin. Alles, was darüber hinaus geht, sind überrissene Erwartungen. Ein Bundesrat kann keine Wunder wirken in der Schweizer Politik.

Ist es vielleicht sogar besser, wenn man einen nationalen Parteipräsidenten hat, der aus dem Kanton kommt, oder einen Fraktionschef im Bundeshaus wie aktuell Ignazio Cassis?

Ob es besser ist, vermag ich nicht zu sagen. Man darf diese Funktionen einfach nicht unterschätzen – dort kann man ganz konkret politische Ideen einbringen. Aber so etwas geht in der aktuellen Diskussion im Tessin leider völlig unter.

Weil ein Tessiner im Bundesrat zur Existenzfrage stilisiert wird?

Exakt. Seit Jahren klagen wir über die zu grosse Distanz nach Bern. Jetzt soll diese endlich kleiner werden. Das Problem dabei: Wenn unser Tessiner Bundesrat den ersten Entscheid fällt, der nicht wirklich tessinfreundlich ist, wird das Theater wieder losgehen: Der hat sich an die Deutschweiz verkauft! Darum sollte man von Beginn an nicht zu grosse Erwartungen aufbauen und auf dem Boden der Realität bleiben.

Woher kommt denn diese Vehemenz in der Diskussion?

Weil viele Probleme im Tessin kausal mit Versäumnissen des Bundes erklärt werden. Weil uns der Bund ignoriert, haben wir Probleme mit den bilateralen Verträgen, mit der Personenfreizügigkeit, etc. Daher kommen auch die enormen Erwartungen: Wenn wir es bei dieser Konstellation nicht schaffen, einen in den Bundesrat zu bringen, dann ist alles aus. Dann wird es richtig dramatisch. Was für eine absurde Übertreibung!

Viele glauben heute, es werde direkte Effekte für den Kanton geben, wenn ein Tessiner im Bundesrat sitzt. Das ist Wunschdenken.

Wenn es jetzt nur nach den Fähigkeiten geht: Wäre Ignazio Cassis ein fähiger Kandidat?

In meinen Augen schon. Er ist offen für verschiedene Anliegen der Wirtschaft und hat uns schon einige Male geholfen. Die Revision des Mehrwertsteuergesetzes, das vor allem Firmen im Tessin benachteiligt hat, haben wir via Ignazio Cassis in Bern eingebracht. Erfolgreich. Gleich war es bei den schwarzen Listen für Schweizer Firmen in Italien, bei denen uns Cassis aktiv geholfen hat. Er kennt auch seine Fähigkeiten ziemlich genau: Fühlt er sich bei einem Thema nicht wirklich sattelfest, überlässt er den Lead anderen. Das ist eine seltene Fähigkeit für einen Politiker.

Sein grosser Vorteil ist allerdings ein anderer: Ihn kennt man im Bundeshaus. Die mögliche Gegenkandidatin Laura Sadis nicht.

Ja, wer die Mechanismen des Bundeshauses etwas kennt, der weiss: Für Frau Sadis wird es eher schwierig.

Ob Cassis oder Sadis: Rettung wird offenbar erwartet. Dabei geht es dem Kanton doch eigentlich gar nicht so schlecht, wenn man sich Statistiken anschaut.

Das ist ein grosses Problem. Es gibt eine Kluft zwischen wirtschaftlicher und politischer Realität. Die Debatte dreht sich immer nur um das Tessin als Problemfall. Dabei sagen die Zahlen etwas ganz anderes. Fast alle wirtschaftlichen Indikatoren sind positiv. Die Arbeitslosigkeit ist mit 3,1 Prozent auf einem historischen tiefen Niveau.

Und das glaubt man ihnen nicht?

Nein. Die Arbeitslosenzahlen werden schweizweit nach dem gleichen Prinzip erfasst – hier aber gelten sie als Fake News. Jede Statistik wird einfach einmal bestritten. Deshalb vermeiden wir inzwischen bestimmte (Wirtschaftsthemen) Themen und öffentliche Auftritte. Wir sprechen lieber über Positivbeispiele und greifen ein, wo Falschbehauptungen herumgeboten werden. Aber manche Debatten haben schlicht keinen Sinn.

Sie gehen schwierigen Diskussionen aus dem Weg?

Wir bestreiten ja nicht, dass es in gewissen Bereichen Lohndumping gibt. Deshalb sind wir auch für flankierende Massnahmen und Kontrollen. Aber dass es im Tessin auch eine dynamische industrielle Wirtschaft auf hohem Niveau gibt, wird von vielen hier totgeschwiegen. Lieber senden sie nach Bern die Botschaft, dass alles hier eine einzige Katastrophe sei. Das ist einfach falsch. Wir hatten hier zum Beispiel kaum Massenentlassungen in den vergangenen Jahren.

Wie entstand diese Kluft zwischen Realität und gefühlter Realität?

Seit Jahren heisst es, die Bundesbehörden interessierten sich nicht für das Tessin. Jede Arbeitsmarktstatistik des Seco wird stets als falsch dargestellt. Eine objektive Diskussion ist so nicht mehr möglich. Natürlich begann diese Anti-Bern-Welle mit der Lega. Aber inzwischen ist diese Haltung längst Mainstream geworden. Zu viele Italiener, zu tiefe Löhne, ein soziales Desaster: So heisst es ständig.

Tatsache ist doch aber auch, dass viele Tessiner Unternehmen lange lieber Grenzgänger zu Tieflöhnen anstellten statt Einheimische.

Die Verfügbarkeit von vielen italienischen Grenzgängern ist für hiesige Firmen natürlich eine grosse Versuchung. Das ist so. Aber es hat auch ein Umdenken gegeben. Nur wird das in der öffentlichen Meinung nicht honoriert. Stattdessen beklagt man, dass es jetzt viel mehr Teilzeitstellen gebe. Dabei ist das auch politisch gewollt, um mehr Frauen in den Arbeitsmarkt zu bekommen. Statt darüber zu diskutieren, jammert man lieber.

Das Tessin gilt inzwischen als Jammerkanton schlechthin.

Dabei haben wir nichts zu bejammern! Wenn wir in den vergangenen Jahren ein Problem in Bern deponierten, fanden wir offene Türen vor im Parlament und in der Verwaltung (auch im Bundesrat)– vorausgesetzt, unsere Anliegen waren gut abgestützt und begründet. Da haben es Kollegen aus anderen Regionen nicht einfacher.

Alles blendend also im Tessin?

Nein, das auch nicht. Aber wir befinden uns im Schweizer Durchschnitt. Das war vor zwanzig Jahren noch ganz anders. Unsere Entwicklung ist eine positive.